Mecklenburg-Vorpommern hat gewählt - dennoch wird das offizielle Ergebnis der Landtagswahlen erst 14 Tage später bekannt gegeben. Der Grund dafür ist der plötzliche Tod des Direktkandidaten der CDU im Wahlkreis 33 - Rügen I, Udo Timm. Hier werden Nachwahlen durchgeführt. Jedoch haben die bisherigen Ergebnisse die Tendenz bewahrheitet: Die SPD bleibt stimmenstärkste Partei und wird damit die meisten der 71 Mandate auf sich vereinen. Sie hat nun die Wahl der Qual zwischen einer großen Koalition mit der CDU oder einer Zusammenarbeit mit der Linken. Nichts Neues also im Schloss von Schwerin. Bereits im Vorfeld dieses Urnenganges gab es heftige Diskussionen. Einerseits stand auf den Plakaten der NPD "Wehrt Euch" zu lesen, eine Aufforderung, welche die Nationalsozialisten kurz nach der Machtergreifung 1933 zum Boykott jüdischer Geschäfte verwendeten. Andererseits missbrauchte der Vertreter der NPD, Udo Pastörs, Neuntklässler als Statisten für einen Propagandafilm der Partei. Auf dem Bürgersteig lässt er v.a. an der EU kein gutes Haar. Die Bundesrepublik werde genauso versinken wie seinerzeit die DDR: "Ihr habt einen Scheißdreck an Macht!" Eine Hand voll der Jugendlichen hört ihm zu - ist aber nicht wirklich daran interessiert. Wie kam es dazu? Die Antwort kommt aus dem Bildungsministerium Mecklenburg-Vorpommerns: Im Rahmen des Sozialkundeunterrichts wurden Wahlplakate analysiert. Da kam plötzlich Pastörs vorbei und produzierte sich vor den Schülern. Dabei lief eine Kamera mit. Der Lehrer war offenbar mit der Situation überfordert. Er hätte diese Aktion abbrechen müssen, da Parteien im Unterricht keinen Wahlkampf führen dürfen. Offiziell heißt es vonseiten der Schule, der Pädagoge wollte sich "mit der Partei argumentativ auseinandersetzen". Doch auch diese Guerilla-Taktik brachte der NPD nicht sehr viel - sie verlor Stimmen, konnte sich jedoch mit rund 6 % im Landtag halten. Ein Anwalt hingegen prüft derzeit eine Klagemöglichkeit, da das Video mit den Kindern ohne Einwilligung der Eltern veröffentlicht worden ist. Eindeutig nicht geschafft hat es die FDP, was auf die derzeitigen Diskussionen und Unstimmigkeiten in Berlin - aber ebenfalls in Schwerin selbst zurückzuführen ist! Auch hier sind Partei- und Fraktionschef zerstritten. Daneben gingen die Plakate mit der Abschreckung vor den Glatzen nach hinten los. Hier kam ein Maximum an negativen Kriterien ins Spiel. Was nun ausschlaggebend war - die Analysten sind nicht zu beneiden. Die lachenden Dritten hingegen kommen vom Bündnis 90/Die Grünen. Erstmals in der Landesgeschichte gelang der Einzug ins Hohe Haus von Schwerin. Die mit etwa 500 Mitgliedern kleinste Partei des Landes profitierte vom Bundestrend. Erstmals ist damit auch die Partei in allen Landtagen Deutschlands vertreten. Für die SPD in Zukunft durchaus ein ernstzunehmender Koalitionspartner - für dieses Mal hat's noch nicht ganz geklappt. Doch einer hatte die Geschicke des Landes in der abgelaufenen Legislaturperiode fest in seiner Hand und wird sie auch für die kommenden fünf Jahre leiten: Erwin Sellering, Spitzenkandidat der Sozialdemokraten und bisheriger Ministerpräsident. Der geborene Westfale folgte 2008 Harald Ringstorff nach. Davor war er am Verwaltungsgericht Greifswald tätig. Nach seinem Einstieg in die SPD begann sein politischer Aufstieg: Leiter der Schweriner Staatskanzlei, Justiz- und Sozialminister, stellvertretender Landesvorsitzender und schließlich 2007 Wahl zum Landesvorsitzenden der Partei. Zuhause sehr geschätzt, ist das Parkett in Berlin ist nicht wirklich das Seine. Selten sind Stellungnahmen aus seinem Büro zu hören, die Forderung nach einem Truppenabzug in Afghanistan ist dabei die große Ausnahme. Er ist beharrlich, freundlich und intelligent, betonte SPD-Bundestagsfraktionschef Frank-Walter Steinmaier im Rahmen einer Wahlkampf-Veranstaltung in Rostock. Sellerings Stärke liegt in der Volksnähe. Er ist unprätentiös! So ist sich der Ministerpräsident nicht zu schade dafür, mit dem Laufpublikum auf Märkten oder in Einkaufszentren zu plaudern oder sich die Probleme des Volkes bei Bürgergesprächen anzuhören. Eine Eigenschaft, die sein Herausforderer Lorenz Caffier von der Union gerne teilen würde. Der "alte Hase" der Landespolitik sitzt seit 1990 im Landtag. Er ist - ebenfalls wie seine Parteichefin in Berlin - Spross einer Pfarrersfamilie. Caffier gilt als der eigentliche große Verlierer: Die CDU hat massiv an Wählerstimmen eingebüßt. Zu stark war die SPD unter Sellering! Schon in den Umfragen zuvor waren die Popularitätswerte Caffiers dreimal niedriger als jene seines Kontrahenten. Ziel bleibt es für die Union, die große Koalition auch für die kommenden fünf Jahre zu festigen. Deshalb wurde der Wahlkampf zwischen den beiden mit Samthandschuhen geführt. Niemand wollte den anderen vergraulen. Schließlich weiß man nicht, was in den möglichen Koalitionen rot-rot oder gar rot-grün laufen würde. Außerdem kam für die CDU noch ein Dilemma hinzu: Je besser diese Wahlen geschlagen worden wären, desto eher wäre es zu einer rot-roten Koalition gekommen. Und Caffier will in der Regierung bleiben! Dies aber widerspricht wiederum den Vorstellungen der Kanzlerin. In praktisch allen Wahlen in diesem Jahr musste sie mit ihrer Partei Einbußen hinnehmen - es muss endlich ein Erfolgserlebnis her! Andere Töne hingegen sind vonseiten der Linken zu hören. So spricht deren Spitzenkandidat Helmut Holter Sellering die Attribute "beliebig" und "aalglatt" zu. Holter selbst saß bereits für acht Jahre am Schreibtisch des Stellvertretenden Ministerpräsidenten und hätte diesen Platz am Ofen gerne auch wieder zurück. Seine Partei gewann zwar leicht Stimmen hinzu, doch brach ihm letztendlich die Mauer-Diskussion das Genick. So verweigerten einige Delegierten beim Parteitag ihre Ehrerbietung den Maueropfern, andere bezeichneten deren Bau als alternativlos. Holter selbst weiß, dass diese kleine Gruppe von DDR-Nostalgikern den erhofften Sieg gekostet hat. Wie das Ergebnis zeigt, wäre die CDU knackbar gewesen. Doch gerade aufgrund dieser DDR-Schönredner gehen wohl die Wenigsten von einer rot-roten Koalition aus. Wie das politische Erscheinungsbild des bevölkerungsärmsten Bundeslandes künftig auch aussehen wird, ist derzeit noch nicht sicher darzulegen. Sellering hat sich alle Türen offengelassen. Doch scheint einer SPD/CDU-Regierung erneut am wahrscheinlichsten. Die Probleme freilich bleiben auch danach dieselben: Abwanderung, Überalterung, Lohnentwicklung und höchste Drop-out-Rate bei Schülern bundesweit. Inoffizielles Ergebnis der Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern: SPD 35,7 % 28 Mandate CDU 23,1 % 18 Mandate Die Linken 18,4 % 14 Mandate Bündnis 90/Grüne 8,4 % 6 Mandate NPD 6,0 % 5 Mandate FDP 2,7 % Sonstige 5,7 % Ulrich Stock |
TAM-Wochenblatt Ausgabe 25 KW 36 | 07.09.2011 |
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